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Inner Voice   for    cello solo

Asja Valcic - soloist & composer

Solospiel? Es gleicht einer Bergbesteigung, bei der die Künstlerin ohne Hilfe unterwegs zu sich selbst ist. Zurückgeworfen auf das eigene Können, das im Match zwischen Einsamkeit und Inspiration vermittelt, sucht sie den Charakterkern ihrer Kunst in Musik zu verwandeln. Wozu aber das Risiko? Was umreißt den Reiz, alleine zu spielen, hat es womöglich etwas mit Freiheit zu tun? „Es ist schlicht die Königsdisziplin“, sagt Asja Valčić. „Das hat mich schon als klassische Cellistin stark beeindruckt. Du fühlst im Alleinsein jedes Atom der Stille. Die Situation macht dich stark und schwach zugleich. Du kannst, du musst alles selbst beeinflussen. Wenn du schließlich soweit bist, dich in dieser Situation wohl zu fühlen, wird jedes Duo, Trio oder Quartett, in dem du ,Mithilfe‘ bekommst, zum Kinderspiel.“ 

 

Das Solo ist also eine Art Schule des Wachstums, in der man sich „wie durch nichts anderes als Instrumentalistin und Interpretin entwickelt.“ Es ging bei Valčić vor dem Eintritt in die Solomanege natürlich ein Reifungsprozess voraus. Als klassisch ausgebildete Cellistin kam sie spät zur Improvisation, was ihr dann „einen Übergang zum Komponieren ermöglichte“. Ihre innere Stimme war geweckt und führte zu einer Musik, die letztlich „hinaus musste.“ Improvisieren und Komponieren fungierten insofern als Wege zu ihrem schöpferischen Wesen, das sich nun zur Einspielung „Inner Voice“ materialisiert.  Das Ergebnis kann als tönende, frei assoziierende Autobiografie verstanden werden, als Reise durch die eigene Geschichte. Sie beginnt ja auch mit „Home Island“, das auch vom Barock inspiriert wirkt und gleich Valčićs - zwischen zupackendem Gestus und subtiler Verinnerlichung changierendem - Instrumentalstil präsentiert. Die „Heimatinsel“ scheint aber ein letztlich imaginärer Ort zu sein. „Auch wenn es in Kroatien eine wunderschöne kleine Insel „Valčić“ gibt, die meiner ganz weit entfernten Verwandtschaft gehört, ist eher meine persönliche ,Heimatinsel‘ gemeint, welche ich mir im Laufe meines Lebens immer wieder erschaffen musste. Ich war kaum fünf Jahre alt, als ich erstmals umzog. Bis zu meinem 33. Lebensjahr ist das sehr oft passiert, hauptsächlich dadurch, dass ich in den USA, Moskau und Detmold studierte, dann auch ein Jahr in Maastricht verbrachte. Die meiste Zeit gaben mir das Cello und die Musik Halt, wobei seit 20 Jahren mein Garten in Pressbaum dazukam.“  

 

 

Biografische Spuren auch im Stück „Macadame Road“, das sich auf Jugenderinnerungen bezieht. Als Sie fünf war, „zogen wir aus Zagreb in ein slowenisches Dorf, das nicht einmal über eine Asphaltstraße verfügte. Diese Schotterstraßen hießen bei uns - wie im Englischen – Macadame, auf solchen habe ich als vierzehnjährige Autofahren gelernt. Auch auf den kroatischen Inseln hat es solche Straßen früher gegeben. Sie führten zu einsamen Stränden, damit sind viele schöne Kindheits- und Jugenderinnerungen verbunden. Die Unebenheiten der Straßen ließen sich jedenfalls für mein Stück ,Macadame Road‘ wunderbar mit einem 11/8 Takt wiedergeben.“ Unkonventionelle Metren? Auch bei „Balkan Rush“ gibt es sie in Form von 5/8- und 7/8-Takten.

 

Aber wie entstehen eigentlich ihre Kompositionen?  Es könne eine Melodie daherflattern, sagt sie, oder eine Groove oder die innere Stimme suggeriert eine Harmoniefolge. „Der Rest ist oft Ausarbeitung, was bei mir schon sehr stark von der ,Klassik‘ beeinflusst ist.“

 

Stilistisch ist allerdings vieles zu entdecken: Barockes, Balkan, die klassische Ausbildung. Valčić hat aber auch Bezug zu Flamencoaspekten, was etwa beim Stück „Free Spirits“ durchschimmert, „ das aus sogenannten natürlichen Fragoletts besteht.“ Darin spiegelt sich aber auch ihre Vorstellung von Künstlerschaft: „So wie die Cellosaite in diesem Fall nur leicht berührt wird und sich in freier Schwingung bewegen kann, so müssen MusikerInnen und KünstlerInnen innerlich frei bleiben, um sich kreativ entfalten zu können.“ Das bezieht sich wohl auch auf ihren langjährigen Partner, den Akkordeonisten und Bandoneonspieler Klaus Paier. Sein Einfluss ist im Stück „Tango“  verborgen. Die ganzen Stile führen allerdings nicht zu einem aufgesetzten Eklektizismus. Sie sind hier organisch wirkender „Wortschatz“. Valčićs virtuoses Spiel, das auf technische Leichtigkeit allein nie Wert legt, aber eine große Unmittelbarkeit und Dringlichkeit vermittelt, schöpft aus diesem „Stilpool beim Improvisieren und Komponieren. Dabei kann auch passieren, dass ich bewusst ein Zitat anwende, wie im langsamen Teil des ,Tangos‘. Da ist kurz Astor  Piazzolla nicht zu überhören!“

 

Nicht zu überhören ist natürlich das tiefe Verständnis für das Cello. Ist etwa „Runaway“ der traurigen, einen machtlos hinterlassenden Erkenntnis gewidmet, dass „heute mehr als 122 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind und die Zahl unaufhaltsam steigt“, findet sich auf der Einspielung auch eine Komposition wie „Inner Voice“: „Ich wollte hier möglichst viele Cellotechniken anwenden. So ist diese Pizzicatonummer entstanden, noch dazu mit Scordatura:  Die C-Saite wird einen Halbton tiefer auf H gestimmt.“ Das Stück sei  ihre „kleine Hymne der Dankbarkeit dafür, dass mich der Lebensweg ohne Planung zum Improvisieren und Komponieren geführt hat.“

 

Der Reisebelgleiter war das Cello, von dem auch „Love Story“ handelt. „Als Fünfjährige wollte ich Klavier spielen. Wir hatten aber keines zu Hause und hätten es uns auch nicht leisten können, so kam ich eines Tages mit einem Cello heim. Es war ein unbekanntes, eher unbefriedigendes Instrument, es war also keine Liebe auf den ersten Blick. Es dauerte Jahre, bis ich verstand, dass ich eines der schönsten Instrumente in den Händen hatte. Welche Ausdrucksvielfalt zwischen den charaktervollen Tiefen und den hohen gesanglichen Lagen!“

 

Nun, wenn man die organisch klingenden Stücke hört, fragt man sich, wie in ihnen das Verhältnis von Komposition und Improvisation gestaltet wurde. „In fast jedem Stück gibt es improvisierte Passagen. Manchmal ist es eine Introduktion, manchmal entferne ich mich mitten drinnen in einer Komposition vom geschriebenen Text. Auf dem Album werden diese Passagen eher kürzer gehalten, sie können aber in der Livesituation erweitert werden. Mir war bei den Kompositionen aber auch wichtig, dass sie so durchkomponiert sind, dass sie nachgespielt werden und improvisierte Teile weggelassen werden können. Aus diesem Grund möchte ich auch die Noten veröffentlichen.“

 

Was ihr aber ganz besonders wichtig war: Es gibt keine Overdubs, keine Loops. „Ich wollte meine Gedanken live und nur mit dem Cello ausführen“, sagt Valčić. Ist verständlich. Wenn schon Solo, dann wirklich nur sie und das Instrument einsam unterwegs zu sich selbst. Und eines ist auch grundsätzlich klar: Es ist weitaus sinnvoller, allein zu sein, als in schlechter Gesellschaft.

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Photo credit: Maria Frodl

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